600 Seiten Tea-Time

1834, ein kleines Dorf in Ostfriesland. Lene Vosskamp wächst in einer Fischerfamilie in bitterer Armut auf und muss schon als Kind schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Doch dann gerät sie durch einen Fremden in den Besitz einer geheimnisvollen Münze, die sie berechtigt, in China mit Tee zu handeln. Fortan ist sie beseelt von dem Gedanken, sich aus ihren elenden Verhältnissen zu befreien und als erste Frau ein Tee-Imperium zu gründen. Für Lene beginnt eine gefahrvolle Odyssee, die sie über die Meere der Welt und in ferne Länder führt – und auf die Spur der Liebe ihres Lebens, die ihr einst in einer Weissagung prophezeit wurde ...

ORIGINALAUSGABE
Paperback , Klappenbroschur, 656 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-442-49211-4

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Prolog


Bremen, November 1876

Wie Blumen öffneten sich die weißen Sahnewolken, verwoben sich in zarten Schleiern, stiegen auf und ab und sanken schließlich zurück in den dunklen Grund der Tasse.
»Und jetzt«, sagte die Großmutter und lächelte Bettina zärtlich an, »darfst du deinen Tee trinken.«
Vorsichtig hob das Mädchen die Tasse. Sie war aus Meißner Porzellan, so dünn und zart, dass man Angst bekam, sie würde schon vom Ansehen zerspringen. Bettina pustete und nahm einen kleinen Schluck.
»Uh. Ich brauche mehr Kluntjes.« Sie warf zwei Stück Kandiszucker nach, die das luftige Gemälde in der Tasse augenblicklich zerstörten. Die Großmutter lehnte sich zurück. Dabei knarrte der alte Stuhl leise. Bettina liebte ihn, fast genauso heiß und innig wie ihre Großmutter. Auf alles andere im ersten Stock des großen, prächtigen Hauses wurde sorgsam geachtet, nur auf das Ächzen und Knarren dieses abgeschabten Stuhls nicht, der bestimmt schon eine Ewigkeit in der Bibliothek stand und den niemand anrühren durfte. Noch nicht einmal, um die schlimmsten abgesplitterten Stellen auszubessern. Ein seltsamer Stuhl, knorrig, eigensinnig, ganz anders als die hübschen Möbel aus Nussbaum und Kirsche, mit denen das Stadthaus der Vosskamps eingerichtet war. Und ganz zu schweigen vom Teepalast, dem Salon der Bremer Gesellschaft, die sich dort beim Tee traf. Um die Ecke war noch der Laden, mit dem Helene vor langer Zeit begonnen hatte, ihr Imperium aufzubauen. »Die Teekönigin« wurde sie von ihren Bewunderern genannt. Aber es gab auch andere Namen, die hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurden. Anfangs war es für sie wohl nicht leicht gewesen. Wann immer Bettina über etwas stöhnte – die strengen Diktate des Hauslehrers, die Zimtschnecken vom Vortag, das mühsame Zuknöpfen der Stiefel, stets bekam sie zu hören: »Iss du mal das harte Brot, das deine Großmutter zerbeißen musste!«
Lange Zeit hatte sie geglaubt, Helene hätte sich zeit ihres Lebens von ungenießbaren Kanten ernährt. Jetzt, mit neun Jahren und fast schon erwachsen, verstand sie viel mehr. Ihr war bewusst, dass ihre Familie ein anderes Leben führte als das vieler Leute. Schon deshalb, weil ihnen ein prächtiges Haus an der Ecke zum Grasmarkt gehörte und damit auch der Teepalast, ein nach englischem Vorbild eingerichtetes Stadtcafé im Erdgeschoss. Am Eingang bestaunten die, die zum ersten Mal eintraten, die gewundenen Säulen und die goldverzierten Akanthusranken, und drinnen dann die Vitrinen mit den Kuchen und Torten, das funkelnde Silber, die internationalen Zeitungen und Magazine, das blank polierte Parkett und schließlich die Teekarte mit der größten Auswahl Norddeutschlands. Als geborene Vosskamp erkannte Bettina die einzelnen Sorten am Duft: den zarten chinesischen Oolong, den kräftigen Assam und eine ganz spezielle Mischung, Brennys, die Helene vor langer Zeit einmal von einer ihrer Reisen mitgebracht und ins Sortiment übernommen hatte.

Elisabeth Herrmann
© Dominik Butzmann

Elisabeth Herrmann

Elisabeth Herrmann wurde 1959 in Marburg/Lahn geboren. Nach ihrem Studium als Fernsehjournalistin arbeitete sie beim RBB, bevor sie mit ihrem Roman »Das Kindermädchen« ihren Durchbruch erlebte. Fast alle ihre Bücher wurden oder werden derzeit verfilmt: Die Reihe um den Berliner Anwalt Joachim Vernau sehr erfolgreich mit Jan Josef Liefers vom ZDF. Elisabeth Herrmann erhielt den Radio-Bremen-Krimipreis und den Deutschen Krimipreis. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin und im Spreewald.

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Interview mit Elisabeth Herrmann zu ihrem neuen Roman „Der Teepalast“

Sie sind als Krimi- und Thriller-Autorin bekannt, u.a. mit Ihren Krimis um den rebellisch-unkonventionellen Anwalt Joachim Vernau, die mit Jan Josef Liefers in der Hauptrolle vom ZDF verfilmt werden. Mit „Der Teepalast“ begeben Sie sich auf neues Terrain, denn Sie haben einen Genre-Wechsel in den Bereich des Historischen Romans gewagt und nehmen uns mit auf eine Reise von der rauen Küste Ostfrieslands in das exotische China und das farbenprächtige Indien. Was hat Sie daran gereizt?

Ich liebe es mir vorzustellen, wie die Menschen in früheren Zeiten gelebt haben. Wenn es Zeitreisen gäbe, ich würde das erste Ticket kaufen! Die 1830er Jahre sind zudem eine unglaublich spannende Zeit. Kühnen Menschen gehörte die Welt, und so hatte ich den Wunsch, eine Geschichte zu schreiben, die von genau so einem Menschen erzählt. Diese literarische Reise war mit das Aufregendste, was ich je geschrieben habe. Jeden Tag einzutauchen in diese fremden, fernen Welten war ein unglaubliches Glück. Anfangs dachte ich noch: kommst du denn wirklich ohne einen Mord aus? Aber diese Zweifel haben sich eigentlich schon nach den ersten Zeilen in Luft aufgelöst, weil „Der Teepalast“ von der ersten Seite an so spannend geworden ist.

Und welche Herausforderungen sind Ihnen beim Schreiben von „Der Teepalast“ (im Gegensatz zum Schreiben eines Krimis) begegnet?


Ein Krimi hat natürlich eine ganz andere Struktur. Eine Tat wird begangen, und sie muss aufgeklärt werden. Bei einem Roman spielen die Personen und ihre Geschichte eine viel größere Rolle. Es war mir sehr wichtig, dass die Spannung aus den Konflikten entsteht, mit denen meine Hauptfigur Lene zu kämpfen hat. Und das sind unendlich viele: die Armut in Ostfriesland, der Ruf einer Frau, der schon durch eine falsche Begegnung zerstört sein kann, die List, ohne die Lene manchmal nicht weiterkommt, und die extrem gefährlichen Expeditionen der Teehändler kurz vor den Opiumkriegen … beim Schreiben dachte ich immer wieder: wie viel haben wir Frauen doch schon erreicht. Damit meine ich nicht, dass es nicht noch viel zu tun gäbe.

Sie sind bekannt für Ihre aufwendigen und akribischen Recherchen. (Sie kommen gerade aus Frankreich und davor waren Sie auf einer Recherchereise in der Arktis unterwegs.) Wie haben Sie für „Der Teepalast“ recherchiert und was hat Ihnen daran besonders Spaß gemacht?


Ich konnte gerade noch in Friesland recherchieren, dann kam Corona. Ich hatte schon meinen Besuch auf einer Teeplantage geplant und wollte auch nach London, aber all diese Pläne hat die Pandemie zunichte gemacht. Eine Weile hat mich das wirklich sehr beschäftigt, denn ich bin jemand, der fürs Schreiben auch unbedingt Eindrücke vor Ort sammeln will. Aber dann dachte ich mir, wenn ich mich in den Kopf eines grausamen Mörders hineinversetzen kann – warum dann nicht auch ins China des 19. Jahrhunderts? Es wurde meine vielleicht aufwändigste Recherche, denn an manchen Tagen hatte ich das Gefühl, für jeden einzelnen Satz in Nachschlagewerken, Sachbüchern und im Internet für Stunden unterwegs zu sein. Zum Beispiel die vielen verschiedenen Währungen und Geldstücke, die 1834 in Friesland in Umlauf waren. Oder die Packungsgrößen der Teetüten damals. Tee wurde ja löffelweise verkauft und nicht so wie heute in 100-Gramm-Tüten. Da konnte man mir glücklicherweise noch im Heimatmuseum Leer und im Bünting Teemuseum helfen. Den Rest musste ich mir erarbeiten. Das kann man sich vielleicht so vorstellen, dass ich eine Puppenstube einrichte. Alles muss stimmen. Die Kleidung. Die Möbel. Das Essen. Die Sprache. Die Umgangsformen. Erst wenn ich das alles zusammen habe, kann ich mich einfühlen und die Szene beginnen lassen. Ich muss trittsicher sein beim Schreiben, sonst wirkt die Szene an manchen Stellen unklar. Aber dann geht es los, und dann bin ich einfach mal ein paar Tage nur in den Docks von London oder in dem Palast eines Reeders. Oder auf einer Opiumdschunke. Oder im Dschungel. Das macht Freude. Richtige, große Freude.

„Der Teepalast“ entführt die Leser:innen in die Kaschemmen und Hafenkneipen, und auf die großen Schiffe dieser Welt, auf den Spuren von Lene Voßkamp, einer unglaublichen Frau, die ein Tee-Imperium gegründet hat. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Roman?

Ich trinke gerne Tee und lade auch öfter zu einer original britischen Teatime. Ich mag diesen Moment, wenn man zum ersten Mal an einer frischen Tasse Tee schnuppert und einem dieser Duft in die Nase steigt. Tee ist ja auch ein zauberhafter Begleiter, wenn man einmal seine Gedanken schweifen lassen möchte. Irgendwann muss ich dabei neugierig geworden sein, wie das mit dem Tee in Deutschland begann. Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir: das ist eine Geschichte. Die will ich aufschreiben. Und am liebsten mit einer Heldin, die sich immer wieder in einer Welt behaupten muss, in der es für Frauen keinen Platz zu geben scheint. Wie sie es dennoch schafft, diese Welt zu erobern, war für mich eine unglaubliche Reise.

Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer weiblichen Hauptfigur, dieses einst armen Fischermädchens, das im Laufe der abenteuerlichen Geschichte Königin eines Tee-Imperiums wird?

Lene ist ein „normales“ Mädchen in der damaligen Zeit, das erst durch eine grausame Intrige in die Situation kommt, sich wehren zu müssen. Sie ist gezwungen, ihr Heimatdorf zu verlassen und steht plötzlich vor der Frage: Untergehen oder wagen, was noch nie jemand vor mir gewagt hat? Am Anfang ist sie schüchtern und naiv, ausgesprochen tugendsam und sehr vorsichtig. Irgendwann stellt sie fest, dass es genau diese Eigenschaften sind, die sie davon abhalten, ihre Träume zu verwirklichen. Ich liebe es wie sie anfängt, mutiger zu werden. Immer einen Fuß vor den anderen setzt, Chancen ergreift, schlimme Fehler macht … und vor allem irgendwann der Tugend eine Absage erteilt. Diese Szenen zu schreiben haben auch mir großen Spaß gemacht. Dennoch hat sie etwas, das ich den Anstand des Herzens nenne. Ja, sie wird irgendwann ein mit allen Wassern gewaschener Trader und die erste deutsche Teeplantage gründen. Aber sie bleibt eine Liebende und eine Frau, die alles was sie tut, leidenschaftlich und kompromisslos will.

Kann man in diesem klassischen Genre des Historischen Romans überhaupt feministisch schreiben?


Ich denke ja, aber wenn man den Vorsatz dazu hat, wird es vielleicht nicht so viel Freude machen.

Wo sammeln Sie Ihre Ideen und Ihre Inspiration, auf Reisen oder eher im Alltag?

Tatsächlich ist es der Alltag. Lange Autofahrten und Spaziergänge, Gespräche mit Freunden, und der enge Austausch mit meinen Verlegerinnen. Als Schreibende brauche ich weniger Inspiration, eher Fantasie und die Fähigkeit, mich in Menschen und Situationen hineinzuversetzen. Eine Idee zu haben ist gar nicht so schwer. Aber sie zu entwickeln ist harte Arbeit.

Wohin geht Ihre nächste (Recherche-)Reise?

Das ist noch offen. Gerade bin ich aus der Arktis zurückgekommen, wo ich bei den Samen bei der Kälbermarkierung der Rentiere dabei war. Es könnte sein, dass ich demnächst viel im Harz unterwegs bin. Aber vielleicht, vielleicht auch in Darjeeling.

À propos starke Frauenfigur und Feminismus: Was wünschen Sie sich für uns Frauen im Jahr 2021?


Weltweit würde ich mir, gerade was die aktuelle Situation angeht, Bildung wünschen. Schule für alle Mädchen und die Chance, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Für uns, in diesem wunderbaren Land, wünsche ich mir mehr Frauen in der Politik und an der Spitze von großen Firmen. Aber ich wäre auch schon über gleichen Lohn für gleiche Arbeit sehr glücklich.

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Barbara Henning, Goldmann Verlag.

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